Die Herstellung von Produkten ist noch nie so preisgünstig gewesen, wie sie es heute ist. Auf der anderen Seite wird mehr Geld für Produkttransport ausgegeben, als jemals zuvor. Der Grund sind Massenimporte aus kostengünstigen Ländern, besonders aus Südost-Asien. Wenn Waren von „irgendwo weit weg“ gekauft werden, können die Preise niedriger sein, aber verlängerte und unzuverlässige Lieferzeiten erhöhen sowohl Kosten wie auch die Risiken in der Lieferkette. Schlimmstenfalls können verspätete Lieferungen oder unvorhergesehene Nachfragen zu Produktengpässen führen. Verlängern sich Lieferzeiten und sind unzuverlässig werden Sicherheitspuffer erforderlich. Und diese Puffer wiederum erhöhen den Lagerplatzbedarf.
Ich bin in vielen Handelsbereichen auf Meinungsverschiedenheiten über die tatsächlichen Kosten der Fernbeschaffung gestoßen. Meiner Meinung nach sind diese Dispute unnötig, und ich würde Unternehmen ermutigen, die besten Aspekte der Nah- und Fernbereichsbeschaffung zu kombinieren. Das produzierende Gewerbe weiß schon längst wie sie die Risiken, die mit den jeweiligen Bezugsquellen auftreten, identifiziert und handhabt. Jetzt ist es an der Zeit, dass auch der Handel beginnt, besser einzukaufen.
Innerhalb dieses Artikels werde ich:
- die Kosten der Beschaffung mit langen und kurzen Lieferzeiten abwägen und Richtlinien für diesen Vergleich geben;
- eine Möglichkeit präsentieren um von den besten Aspekten beider Beschaffungsmodelle simultan zu profitieren;
- die Voraussetzungen für den Gebrauch des kombinierten Geschäftsmodells erörtern;
Die Kosten bei langen Lieferzeiten
Der primäre Nutzen von Fernkäufen ist der niedrigere Kaufpreis. Wenn ferne Lieferanten Waren für beträchtlich kleinere Preise als ihre europäischen Pendants verkaufen, kann der Preisunterschied eine entscheidende Wirkung auf die Rentabilität des Produkts haben – und der Unterschied ist oft enorm, sogar wenn die höheren Transportkosten in Betracht gezogen werden. Jedoch resultieren lange und unzuverlässige Lieferzeitpläne in bedeutsamen Zusatzkosten, da mehr Lagerplatz und Kapital erforderlich ist, und das Risiko, unverkäufliche Produkte zu erhalten, größer ist.
Umso kürzer der Lebenszyklus des Produkts und umso schlechter seine Vorhersagbarkeit, desto bedeutsamer werden diese Zusatzkosten. Obwohl dem so ist, werden die Gesamtkosten praktisch nie in Betracht gezogen, wenn eine Versorgungsquelle gewählt wird, und sie werden selten bei der Beurteilung der endgültigen Rentabilität eines Produkts berücksichtigt. Jedoch kann eine richtungsweisende Kostenabschätzung bereits im Voraus berechnet werden.
Beispiel 1: Nahbeschaffung vs. Fernbeschaffung
Werfen wir beispielsweise einen Blick auf ein Produkt, dessen Kaufpreis in Europa inklusive Freihauslieferung vom Lieferanten 100€ beträgt, wohingegen beim Kaufpreis von 60€ in Fernost, der Käufer die Transportkosten übernimmt. Das Produkt ist nicht besonders groß oder schwer. Wenn die Waren in vollen Einheiten transportiert werden, ist der vergleichbare Kaufpreis für Fernost 67 €, was einer Differenz von 33 € im Beschaffungspreis allein entspricht.
Wird das Produkt aus Fernost bezogen, reicht die Mindestbestellmenge für sechs Monate. Aus Europa können die Waren in ökonomischen Mengen in Intervallen von zwei Wochen gekauft werden. Lassen Sie uns annehmen, dass, um die Verfügbarkeit des Produkts sicherzustellen, ein Pufferbestand von etwa 40% der durchschnittlichen Verkäufe pro Einkaufszyklus benötigt und aufrechterhalten wird. Werden zudem Lagerplatzkosten, Kapitalzins und das Risiko, unverkäufliche Waren geliefert zu bekommen berücksichtigt, betragen die Gesamtkosten für die Lagerung 35% des Kaufpreises.
In einer Situation wie dieser und mit diesen Preisen sind die Lagerkosten für ein aus Fernost bezogenes Produkt zehnmal den Kosten der Beschaffung aus Europa. Werden Waren in Europa eingekauft, beträgt der Lagerumschlag etwas über 25, während die gleiche Kennzahl für Waren aus Asien bei 1,7 liegt. Nichtsdestoweniger sind die Gesamtkosten für Beschaffung aus Fernost 20% niedriger.
Aufgrund von Kosten allein ist es profitabler, ein Produkt von Fernost zu kaufen, wenn der Einkaufspreis mindestens 17% niedriger als der von einem europäischen Lieferanten angebotene Preis ist. Für den Fall dass der Preisunterschied weniger als 17 Prozent beträgt, ist es letzten Endes günstiger, den europäischen Lieferanten zu nutzen.
Die hier verwendeten Berechnungen sind in Anhang 1 ‘Erklärung der Berechnungsbeispiele’ dargelegt. Diese Erörterung kann verwendet werden, um eine Kostenvergleichstabelle für jedes Geschäftsumfeld zu erstellen. Auf Anfrage kann ich Ihnen auch das für diesen Artikel grundlegende Beispiel zusenden.
Fernkäufe bringen größere Risiken mit sich, besonders wenn Verkaufsmengen nicht richtig vorhergesagt worden sind. Falls die Nachfrage höher als erwartet ist, oder Lieferpläne nicht eingehalten werden, können Produkte vor Ankunft der nächsten Lieferung ausverkauft sein. Dies führt zu verminderter Kundenzufriedenheit und entgangenen Umsätzen. Darüber hinaus, wenn Verkaufsmengen kleiner als erwartet sind, kann es sein, dass Produkte – besonders diejenigen mit kurzem Lebenszyklus – zu Rabattpreisen verkauft oder entsorgt werden müssen. Dieses steigert Kosten und vermindert die Marge für das Produkt. In einem schwankenden Marktumfeld sind die Risiken der Fernbeschaffung höher als üblich. Kauft ein Unternehmen Produkte in Mengen, die für sechs Monate ausreichend sind und unterhält zudem einen normalen Pufferbestand, kann es schlimmstenfalls Vorräte für über 300 Tage aufbauen. Brechen die Verkäufe radikal ein, können dieselben Vorräte sogar für Jahre genügen.
Wegen der mit Fernbeschaffung verbundenen Ungewissheiten empfehle ich, dass Unternehmen die besten Aspekte der Fern- wie auch der Nahbereichsbeschaffung gleichzeitig ausschöpfen.
Lokale und globale Lieferanten gleichzeitig verwenden
Sowohl Fern- als auch Nahbereichsbeschaffung einzusetzen, führt zu verbesserter Lieferzuverlässigkeit, gesteigerter Flexibilität der Lieferkette und einer Verminderung der Gesamtkosten. Im kombinierten Geschäftsmodell wird der Lieferant in Fernost als primärer Versorgungskanal für ein Produkt eingesetzt. Jedoch muss ein Alternativlieferant in der Nähe gefunden werden.
Der Beschaffungsbedarf für das Produkt wird aufgrund von zu erwarteten Verkäufen und den Beschaffungszyklen, die mit dem Lieferanten aus Fernost einhergehen, geschätzt. Jedoch wird die aufgrund von erwarteten Verkäufen, Vorräten sowie ein- und ausgehenden Lieferungen berechnete, vorhergesagte Verfügbarkeit ständig überwacht. Eine Überwachung gestaltet sich sehr einfach, wenn das verwendete Beschaffungsplanungssystem in der Lage ist, eine Frühwarnung bei potentiellen Verfügbarkeitsproblemen zu geben. Ist die Verfügbarkeit auf Grund unvorhergesehener Nachfrage oder verspäteten Lieferungen gefährdet, werden Waren vom nahe gelegenen Lieferanten in solchen Mengen gekauft, die das Unternehmen befähigen, die Knappheitsperiode zu überwinden. Weil Verfügbarkeitsprobleme mittels des nahe gelegenen Lieferanten behoben werden können, kann die Pufferbestandsmenge auch hinsichtlich dieser kürzeren Lieferzeiten optimiert werden.
Beispiel 2: Das kombinierte Geschäftsmodell
Lassen Sie uns annehmen, dass das Produkt im vorherigen Beispiel in erster Linie aus Asien gekauft wird, aber unerwartete Umstände erfordern Zusatzbestellungen im Bereich von 10% des jährlichen Volumens. In diesem Fall würde das Kombinationsmodell sowohl ein besseres Servicelevel sicherstellen, als auch die Gesamtkosten 5% geringer halten als mit der Fernbeschaffung allein. Auch der Lagerumschlag erhöht sich dadurch von 1,7 auf 3,7. Dieses wird sich bald in einer Verbesserung der Logistik-Kennzahlen und in vermindertem Vorratsdruck widerspiegeln. Auch nimmt, mit einer leichten zeitlichen Verzögerung, das Maß an totem Bestand ab, da zusätzliche Puffer bedeutend reduziert werden können. Die ökonomischen Vorteile sind am höchsten für jene Produkte, deren Verkäufe am schwersten zu prognostizieren sind.
Vorausgesetzt, dass die Beschaffungs-und Logistikkosten 65% des Unternehmensumsatzes in Anspruch nehmen und dass 50% der Waren von weit entfernten Lieferanten gekauft werden, entspricht eine Kostenersparnis von 5% für ein Produkt, einer Einsparung von 1,5% des Umsatzes, welches wiederum in eine 1,5%ige Erhöhung der Unternehmensgewinne übersetzt werden kann.
Das gleiche Modell kann dynamisch im Lauf des Produktlebenszyklus oder für einen bestimmten Zeitraum eingesetzt werden. Zara, zum Beispiel, tut genau dies. Das Unternehmen bezieht neue Produkte überwiegend von nahen Quellen, weil ihre Verkaufsmengen schwer vorherzusagen sind. Verkauft sich ein Produkt gut, wird es in größeren Mengen aus kostengünstigeren Quellen gekauft. Am Ende des Produktlebenszyklus werden wieder Versorgungswege mit kürzeren Lieferzeiten genutzt, um überschüssige Lagerbestände zu vermeiden.
Praktische Schwierigkeiten und der Prozess
Leider bringt die Kombination von Fern-und Nahbeschaffung Probleme mit sich, die denen bei anderen Supply-Chain-Entwicklungsideen ähnlich sind: das Prinzip ist klar und sogar recht einfach, aber die Realisierung der Geschäftsmodelle im großen Maßstab ist eher anspruchsvoll. Trotzdem, mit systematischen und zielgerichteten Bemühungen, ist es durchaus machbar.
Die wichtigste praktische Herausforderung ist die zunehmende Produkt-Management Arbeitsbelastung, die sich aus der Notwendigkeit, alternative Lieferanten für Produkte zu finden, ergibt. Eine weitere Herausforderung ergibt sich aus der Tatsache, dass Abnahmemengen für einen Alternativlieferant noch während den Verhandlungen ungewiss sind. Neben tatsächlichen Umsätzen, hängen die Volumina von der Zuverlässigkeit der primären Bezugsquelle ab. Aus diesem Grund sind verschiedene Großhandelsunternehmen in der Regel eine natürliche Wahl als sekundäre Lieferanten.
Wenn Produktvolumina groß sind, ist es auch für das verwendete Datensystem wesentlich, das gewählte Geschäftsmodell zu unterstützen. Natürlich sucht jedes Handelsunternehmen nach alternativen Lieferanten für Produkte und tätigt Ersatzkäufe. Jedoch werden innerhalb des wünschenswerten Geschäftsmodells potentielle Engpässe im Voraus identifiziert, welche wiederum eine vorbestimmte Sequenz von Ereignissen auslösen. Kann der Prozess direkt in das System implementiert werden, ist das einzige, was noch handzuhaben ist, die Auswahl von alternativen Lieferanten und die Wartung der Lieferanteninformation und -stammdaten.
Sichere Schritte in passender Geschwindigkeit gehen
Die Verwendung von zwei Bezugsquellen sollte allmählich begonnen werden. Ich empfehle für die Schlüsselprodukte – der Kern der Produktauswahl mit den größten Verkaufszahlen – die schnellsten Schritte zu tätigen. Für diese Produkte ist die Existenz eines alternativen Unterstützungslieferanten am wesentlichsten, um sowohl die Risiken zu kontrollieren, wie auch die Kundenzufriedenheit abzusichern.
Beinahe alle Industrieunternehmen stellen die Verfügbarkeit ihrer Schlüsselkomponenten durch den Einsatz mehrerer Lieferanten sicher. In dieser Hinsicht liegen Handelsunternehmen oft weit zurück. Erst wenn die Verfügbarkeit von Schlüsselprodukten gewährleistet worden ist, ist es Zeit lediglich die Kosten zu optimieren. Eine Reduzierung der Kosten sollte bei Produkten, deren Absatzmengen nicht leicht vorhergesagt werden können und die eine kurze Lebensdauer haben, beginnen, und das neue Modell sollte zunächst für die Produkte mit den größten Umsatzvolumen realisiert werden. Je größer die Unvorhersehbarkeit und die Absatzmengen sind, desto größer sind die Vorteile.
Anhang 1: Erklärung der Berechnungsbeispiele
In diesem Anhang erkläre ich detaillierter die Excel-Berechnungen, die sich hinter den oben erwähnten Kennzahlen verstecken. Die Zahlenwerte sind Beispielswerte, basieren aber auf allgemeinen Annahmen, wie sie in der Logistik Theorie verwendet werden. Obwohl diese der Praxis nicht ganz standhalten, sind sie dennoch gute Indikatoren und Richtungsweiser.
- Für illustrative Zwecke ist die jährliche Nachfrage mit 1.000 Stück angegeben worden, aber der relative Unterschied zwischen verschiedenen Versorgungsquellen bleibt gleich, selbst wenn die Nachfrage höher oder niedriger ist.
- Der Pufferbestand ist eine Möglichkeit, auf Nachfrageschwankungen vorbereitet zu sein –Prognosen halten der Realität nie komplett stand. Der Pufferbestand wird verwendet, um während der Periode, die aus der Lieferzeit und dem Bestellintervall besteht, die Nachfrageschwankungen auszugleichen.
- Im Kombinationsmodell wird der Pufferbestand nur benötigt, um die Lieferzeit und das Bestellintervall des Nahbereichslieferanten zu überbrücken, selbst wenn der Großteil der Waren von weit entfernten Lieferanten bezogen wird.
- Durchschnittliche Bestandsmengen (in Artikel) wurden durch Multiplikation der Anzahl der Tage, für die der Vorrat ausreicht, mit dem geschätzten täglichen Bedarf (1.000 ÷ 360) berechnet. Die Zahlen in Euro wurden auf Basis der durchschnittlichen Einkaufspreise berechnet.
- Verwendbarer Bestand ist der Anteil des Bestandes, der benötigt wird, um die prognostizierten Verkaufsmengen abdecken zu können. Die Größe hängt von der Bestellmenge ab – die durchschnittliche Bestandsmenge entspricht der halben Menge einer einzelnen Bestellung, zusätzlich zum Pufferbestand.