Promotions, sei es in Form von Preisnachlässen, Werbeanzeigen und/oder Sonderplatzierungen, haben oft enorme Auswirkung auf den Absatz von Produkten. Eine Kampagne ist nur dann erfolgreich, wenn die Erhöhung des Verkaufsvolumens in jedem Abschnitt der Supply-Chain berücksichtigt wird. Die richtige, durch Kampagnenprognosen gesteuerte Supply-Chain-Planung macht das möglich: Sie befriedigt die gesteigerte Nachfrage nach dem beworbenen Produkt ohne Verderb oder Überbestände. Ein Fakt, der dabei jedoch häufig nicht oder nur ungenügend beachtet wird: Die Verkaufsförderung eines Produkts kann erhebliche Nebenwirkungen auf den Absatz anderer, nicht beworbener Produkte haben. Lässt man diese Sekundäreffekte außer Acht, führt das zu suboptimaler Planung: Das volle Profit-Potential einer Kampagne wird nicht ausgeschöpft.
In diesem Whitepaper geht es darum, wie Sekundäreffekte einer Kampagne – oft Kannibalisierung oder Halo-Effekte genannt – erkannt und die identifizierten Kausalitäten für die Nachfrageprognostizierung verwendet werden.
Wie sich das Kaufverhalten aus Kassendaten ableiten lässt
Ein Beispiel: Ich stehe im Supermarkt mit meinem Einkaufszettel vor den Kühltruhen mit Frischfleisch und möchte ein Kilo Hackfleisch kaufen. Dabei sehe ich mich mit mindestens 15 Auswahlmöglichkeiten verschiedener Marken konfrontiert. Sie entsprechen alle den vagen Kriterien auf meinem Zettel. Die Produkte unterscheiden sich im Fettgehalt, manche sind Bio oder zu Burgerpatties vorgeformt und bereits gewürzt. Soll ich die gleiche Marke wie letztes Mal wählen? Oder probiere ich etwas anderes aus, in der Hoffnung, meinen Freunden bessere Burger vorsetzen zu können? Ach, egal, Produkt X ist im Angebot und 20 Prozent günstiger, also kaufe ich das und spare etwas Geld.
Es fallen einem schnell Beispiele ein, wie Promotions unser Kaufverhalten beeinflussen. Sind zwei Produkte fast identisch und ist eines davon aufgrund einer Kampagne erheblich im Preis reduziert, landet dieses meist im Einkaufswagen des Käufers. Die Kampagne für das eine Produkt verringert bzw. kannibalisiert also die Verkäufe ähnlicher Produkte.
Aber auch das gegensätzliche Phänomen existiert: Gin und Tonic-Water werden beispielsweise oft zusammen gekauft – die Bewerbung eines Produkts kurbelt also den Absatz des ergänzenden Produkts an. In diesem Fall spricht man vom Halo-Effekt.
Um Kannibalisierung und Halo-Effekte bei der Nachfrageprognostizierung effizient zu berücksichtigen, sollten erst die relevanten Beziehungen aus den Millionen von Möglichkeiten herausgefiltert werden. Die einfachste, aber nicht sehr praktische Lösung wäre, sich auf seinen Verstand zu verlassen und die entsprechenden Beziehungen manuell aufzulisten. Mageres Hackfleisch kannibalisiert höchstwahrscheinlich ähnliche Produkte, aber kannibalisiert es auch normales Hackfleisch? Und wie verhält es sich mit magerem Bio-Hackfleisch? Allen in Frage kommenden Beziehungen durch Nachdenken auf die Schliche zu kommen, ist nicht so einfach, wie es zuerst den Anschein hat. Es erfordert zudem das manuelle Anlegen und Pflegen einer Liste mit tausenden von Produkten – das ist praktisch unmöglich. Die einzig verbleibende vernünftige Option ist, die Beziehungen mittels Machine-Learning-Techniken aus historischen Daten zu identifizieren.
Im Einzelhandelsgeschäft stehen zu diesem Zweck für gewöhnlich zwei nützliche Datensätze zur Verfügung. Bei der ersten Option werden Referenzprodukte und häufig zusammen gekaufte Artikel anhand von Kassenbon-Daten und den Informationen aus Kundentreuekarten identifiziert, zum Beispiel mittels Assoziationsanalyse. Landen zwei Produkte niemals zusammen im gleichen Einkaufskorb, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie austauschbar sind. Auch wenn die Präferenz eines einzelnen Kunden willkürlich zwischen zwei ähnlichen Produkten zu schwanken scheint, handelt es sich in der Regel um Referenzartikel. In beiden Fällen findet eine Kannibalisierung statt. Die gleiche Technik lässt sich auch bei der Identifizierung von Halo-Beziehungen anwenden: Werden zwei Produkte häufiger zusammen gekauft, als es bei voneinander unabhängigen Käufen zu erwarten wäre, stehen sie wahrscheinlich in einer Halo-Beziehung.
Die zweite Möglichkeit sind Zeitreihendaten über Umsätze auf SKU-Filial-Ebene. Diese Daten geben auch Auskunft über die Beziehungen zwischen Produkten und letztendlich ist die Größe, die wir prognostizieren möchten, die zukünftige Nachfrage. Stellen wir uns während einer gewöhnlichen Verkaufsperiode (außerhalb von beispielsweise Kampagnen) ein System bestehend aus nur einem Produktpaar vor: Sind beide Produkte vorrätig, dann ist das System sozusagen ausgeglichen. Beide Produkte werden relativ willkürlich gekauft und der proportionale Verkaufsanteil jedes Produkts wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst, zum Beispiel Marke, Preis und Platzierung. In diesem Zustand ist es praktisch unmöglich, nur auf Grundlage der Abverkäufe eine verwertbare Schlussfolgerung über mögliche Kannibalisierung oder Halo-Beziehungen zu treffen. Wird dieses Gleichgewicht jedoch gestört, beispielsweise durch eine Kampagne, werden die Beziehungen sichtbar.
Kannibalisieren sich zwei Produkte, steigen durch eine Kampagne für das erste Produkt dessen Verkaufszahlen. Gleichzeitig aber sinken die Verkäufe des zweiten Produkts im Vergleich zum „Normalzustand“. Es besteht also eine negative Korrelation zwischen der Wirkung der kannibalisierenden Kampagne und den Verkäufen der beiden Produkte. Ein Halo-Effekt wiederum führt zu einer positiven Korrelation: Ist das eine Produkt im Angebot, steigt der Absatz des ergänzenden Produkts ebenfalls. Die Untersuchung der Stärke und Bedeutung dieser Beziehungen erweist sich als ein effizientes Mittel, um kannibalisierende Beziehungen aus großen Mengen von Umsatzdaten zu ermitteln. Die Informationen sind zudem gut messbar, was das Aussortieren unwichtiger Beziehungen erleichtert.
Präzisere Absatzprognosen durch Einbezug von Kannibalisierung und Halo-Effekten
Kennt man die relevanten Beziehungen, können dynamische Effekte von Kampagnen in die Prognoseberechnung miteinbezogen werden – die Vorgehensweise ist ähnlich der Berechnung gewöhnlicher Kampagneneffekte. Während eine normale Kampagne nur die Verkäufe des beworbenen Produkts ankurbelt, erhöht der Halo-Effekt die Verkäufe jedes beeinflussten Produkts während dieser Kampagne. Er kann also als eine besondere Kampagnenform betrachtet werden: Sie tritt in Kraft, wenn die durch den Halo-Effekt beeinflussten Produkte mit einer Kampagne beworben werden. Dennoch sollte man nicht vergessen, dass der Halo-Effekt schwächer als der Effekt der eigentlichen Kampagne ist – es sei denn, die Produkte werden tatsächlich immer zusammen gekauft. Dementsprechend kann die Kannibalisierung als eine Art Anti-Kampagne betrachtet werden: Sie wirkt sich negativ auf die Abverkäufe aus. Abbildung 1 zeigt den primären Effekt einer Kampagne. Dieser beeinflusst für gewöhnlich die Verkäufe des beworbenen Produkts viel stärker als der sekundäre Kannibalisierungseffekt, der durch die Kampagnenaktivitäten eines Substitutionsprodukts hervorgerufen wird.
RELEX erkennt kannibalisierende Beziehungen auf Grundlage historischer Abverkäufe und Kampagnendaten. Dazu verwendet das System bekannte Kannibalisierungs- und Halo-Beziehungen bei der Prognostizierung. Durch das Berücksichtigen von Beziehungen verbessert sich die Prognosegenauigkeit während Promotions mit Kannibalisierungs- oder Halo-Effekten. Dadurch verringert sich der Verderb kannibalisierter Produkte und die Verfügbarkeit von Produkten mit Halo-Effekt steigt. Zusätzlich verbessert sich die Prognosegenauigkeit abseits aller Kampagneneffekte leicht. Grund hierfür ist die Tilgung des Einflusses der Kannibalisierungs- und Halo-Zeiträume aus den historischen Zeitreihen. Sie machen den größten Teil der einfließenden Zeitreihen-Prognosemodelle aus.
RELEX plant, die Möglichkeiten, die der Kassenbon mit seinen Daten noch birgt, weiter zu erforschen. Vorstellbar ist, dass die optimale Lösung ein Hybrid-Modell darstellt, das alle leicht erhältlichen Daten nutzt.